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Marionette

  • Autorenbild: Liv
    Liv
  • 10. Feb. 2022
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 5. Nov. 2024

Laut erklingt der Track Marionette von Mathew Johnson in meinem Ohr. Seine synthetischen feinen Vibrationsmelodien lösen Faszination und Gänsehaut in meinem Körper aus. Ich schliesse meine Augen, vergesse all die Menschen um mich herum, stelle mir einen grossen Tanzsaal vor, ganz für mich allein, und lasse mich in eleganten immer wilder werdenden Bewegungen im Takt der Musik über den Boden gleiten. Meine Haare wehen durch die Luft, verblassen im Dampf der Rauchanlagen und wedeln mir über meinen nackten Rücken.


Irgendwann fange ich an zu spüren, dass der Track gleich zu Ende gespielt ist. Ich erwache wie aus einem wunderschönen Traum, öffne blitzartig meine Augen und renne um mein Leben. Nach vorne zum DJ Pult. Ich muss erfahren von wem dieser Track ist und wie sein Name ist. Als ich es erfahre, erfährt mein Körper erneut Entspannung im Wissen, dass ich mich nun immer wieder in seine Sphären begeben kann. Erst jetzt bemerke ich all die drängelnden und schreienden Menschen um mich herum, die Schweiss überströmt den DJ anfeuern. Ich quetsche mich durch die Massen in Richtung Ausgang, schlendere in Gedanken versunken an den Titel des Tracks an der Garderobe vorbei, hole meine Jacke ab und mach mich zu Fuss auf den Heimweg.


Was ist gemeint mit Marionette? Marionetten sind doch Spielzeugfiguren, die tanzen, wenn es die Person an den Schnüren vorgibt. Ich hänge in den Seilen und weiss nicht, wo mir der Kopf steht.

Will der Produzent seinem Publikum aus seiner Machtposition sagen, dass es nach seiner Pfeife tanzt oder hat der Track einen übergeordneten Sinn.


Im Februar 2005 war der Release des Tracks - im selben Monat verschwand ein Flugzeug auf dem Weg nach Kabul aus dem Flugradar und prallte gegen eine Gebirgswand - keine Überlebenden. Ein paar Tage später gewannen die Deutschen in Bormio den Teamwettkampf der Ski-WM. Die USA beschuldigt den Iran auf unrechtmäßige Art Atomwaffen herzustellen, wodurch sich der Iran verraten und öffentlich beleidigt fühlt.


Jeden Tag geschehen schlimme Dinge auf unserer Welt, doch warum lassen wir uns immer wieder ablenken und bleiben nicht fokussiert auf die wesentlichen Dinge. Damit will ich nicht behaupten, dass die oben genannten Ereignisse unwesentlich sind, nur wenn sie verglichen werden mit dem bereits damals zu erahnenden und berechnenden Loyalitätszusammenschluss zwischen China und Russland und dem Umgang mit der Ölpipeline und der Unterdrückung der Ukraine und Taiwan, die die Staaten erweitern sollen, um noch mächtiger zu werden, finde ich es schon eher unwesentlich, ob sich ein Land die Goldmedaille holt oder nicht. 2005 hatte mir mein damaliger Lehrer für Wirtschaft und Geschichte bereits versucht mitzuteilen, dass der Bau der Pipeline ein Manipulationsmittel sei um Hegemonie auf der Welt zu erlangen. Damals mochte ich meinen Lehrer nicht und versuchte nicht weiter darüber nachzudenken, weil ich sauer auf ihn war wegen der schlechten Noten, die er mir gab. Es machte mich wütend, dass er mir die Materie nicht schaffte verständlich zu machen. Ich liess mich ablenken von meiner Wut.


Solche Ablenkungsmanöver gibt es immer wieder zu beobachten auch im kleineren Stil, der erst gross wird, wenn er zum Lebensstil vieler wird.

In Kriegszeiten sind es die gesellschaftlichen Spiele, die uns Menschen von der wahren Tragödie ablenken sollen. Im Militär waren es die kleinen Wunderpillen, die mittlerweile nicht mehr Soldaten taub im Herzen machen um zu töten, sondern die Herzen des Normalbürgers auf lange Sicht abstumpfen, weil wir ohne sie keinen Genuss in der Welt mehr finden. So landen die Pillen auf den Tanzflächen und vernebeln die Geister und Gefühle von uns feiernden Menschen, die nach der guten Nacht in ein tiefes schwarzes Loch fallen und plötzlich alles in der Welt erkennen, das dunkel ist. Es ist aber viel zu viel um es auszuhalten, darum geben wir uns die nächste Dröhnung ohne es zu wissen und verabreden uns zum Shoppen und Kaffee trinken, drängen die Gedanken weg, die uns traurig machen und erinnern uns gemeinsam an die erlebten Trancezustände. Dabei essen wir bewusst einen veganen Kuchen, nutzen nur recycelte Plastikgegenstände und tragen Klamotten aus Bio-Baumwolle. Dass aber hunderte von Menschen in Kolumbien sterben mussten, damit wir DIE Nacht unseres Lebens verbringen konnten, bleibt Nebensache. Hauptsache wir retten die Welt und tragen eine Bio-Jeans mit dem Label Made in Srilanka oder Made in India in die Schlaufe gestickt.


Marionetten bewegen sich dann, wenn jemand die Fäden zieht, an denen ihre Glieder befestigt sind. Und Menschen bewegen sich dann, wenn ihnen vorgegeben oder schmackhaft gemacht wird, was ihnen gefallen wird und sie daran glauben lässt, ohne dass die weiter darüber nachzudenken brauchen, was ihnen tieferen Sinn gibt.


Was gibt uns Menschen einen tieferen Sinn?


Im Tanzen sehe ich die Sehnsucht nach Freiheit und Verbundenheit. Im Tragen von Bio-Klamotten sehe ich den Wunsch nach einer Welt ohne Ausbeutung. Im Pillen schlucken erkenne ich die Sehnsucht nach glücklich sein. In der veganen Ernährung sehe ich die Dankbarkeit für die Tierwelt.


Erschöpft komme ich Zuhause an, ziehe meine Schuhe und Socken aus, werfe meine Klamotten in den Wäschekorb und lass mich unter der warmen Dusche vom frischen Wasser berieseln. Was auf dem Heimweg alles durchdacht werden kann. Ich nehme mir fest vor alles aufzuschreiben, bevor ich mich in die nachhaltig produzierten Federn fallen lasse und zu träumen beginne.

Zehn Jahre später erwache ich aus meinem Traum und beginne wach zu träumen. Kommst Du mit?


© Photo by Pixabay



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